Ein Märchen der Zeit „Die weise Frau im Wald“
So wie jedes Märchen beginnt, beginnt auch dieses…
Es war einmal vor langer, langer Zeit, in einem längst vergessenen Wald in einem fernen Land. In diesem Wald hauste eine weise Frau in einer kleinen Hütte aus Holz. Jeden Morgen wenn sie die Augen aufschlug dankte sie für den neuen Tag, begrüßte sie die Sonne, wenn es regnete den Regen und im Winter den Schnee. Am Abend wenn sie zu Bett ging, dankte sie wiederum für den Tag mit all seinen Geschenken, seinen Aufgaben und sie begrüßte voller Liebe die Nacht, das Dunkel, die Sterne, die Mondin. So vergingen viele Wochen, Monate und Jahre. Guter Dinge verrichtete die Frau jeden Tag ihre Arbeiten. Immer mehr wurde sie eins mit dem Wald, der ihr Heimat war. Sie war in ihrer Natur, ihrem ureigenen Kreislauf.
So begann sie mit den ersten Frühlingshaften Strahlen der Sonne die Hütte von den letzten Resten der kalten Zeit zu reinigen. Sie säuberte und kehrte alles hinfort was sie nicht mehr brauchte. Sie war guter Dinge und strahlte mit der Frühlingssonne um die Wette. Ihr ganzes Sein war der Natur angepasst. Sie sang und tanzte im Wald und mit Leichtigkeit verrichtete sie ihre Aufgaben. Sie reinigte und klärte den Waldboden, die ersten Knospen und Blätter die hervorsprangen sammelte sie mit großer Demut und Achtsamkeit ein. Manches Mal, ja, da kostetet sie sogleich an Ort und Stelle von diesen wundervollen Gaben. Und so geschah es auch, dass sie erkannte, welche Kraft in diesen steckte. Es war ihr eine große Freude zu fühlen, was die Birke in ihr bewirkte, voller Licht, stand sie da, strahlend in ihrem jugendlichen Sein. Die Buche ließ sie tief verwurzeln mit Mutter Erde, sie fühlte den Reichtum, die Sättigung die ihr die Erde schenkte und die Eiche, ja, die Eiche schenkte ihr Kraft, Anmut und ein völliges Sein. Vieles durfte sie in dieser Zeit des Frühlings erkennen. Steht´s achtete sie darauf im Einklang mit dem Wald zu sein.
Die Bäume wurden mit jedem Tag mehr und mehr zu ihren Freunden. So erzählte sie Ihnen alles was sie bewegte, sie umarmte die Bäume und küsste sie auch. Einfach zum Dank und weil sie so voller Liebe war. Und so wie die Blätter der Bäume immer mehr hervortraten, von dem zarten Grün in ein saftiges Grün wechselten, so veränderte sich auch die Frau. Ihr völliges Sein, wurde eine Erscheinung. Die Tiere des Waldes sahen voller Bewunderung ihr erschaffen, die Äste der Bäume mit ihren einzigartigen Blättern streiften ihr oft sanft übers Gesicht. Es war ein wundervoller Anblick, sie zu sehen. Diese Anmut, diese Grazie wenn sie sich bewegte in ihrem natürlichen Sein. Fast schien es so, als wäre sie von einer anderen Welt und doch war jede Bewegung, jeder Handgriff ganz selbstverständlich und von Natürlichkeit durchdrungen. Durch ihre Hand, entstanden in dem Wald viele magische Zauberplätze. Schmetterlinge, Rehe und Hasen, Fasane und auch die kleinen Waldbewohner wie Käfer und Ameisen und vielerlei anderes Getier, sie alle sammelten sich in den Lichtungen, die sie ihnen schuf.
Natürlich gab es auch einen Platz des Rückzugs in diesem Wald, einen Platz zum Gebären und einen Platz zum Sterben. Alles war im Einklang, auch wenn es manches mal ein trauriger Abschied war. Die Frau kannte jedes Tier und die Tiere kannten die Frau. Sie ehrten, liebten und schätzten einander. Und so zog der Sommer in den Wald ein. Die warme Luft, welche nach Erde und Bäume roch, nach Fichtennadeln und Blätter umschmeichelte die Nase der Frau. Sie liebte diese Düfte und Gerüche. Sie gaben ihr ein Gefühl des Vertrauens, es war ein erkennen. Ein in sich angekommen sein. Der Sommer brachte die Reife mit sich, Beeren durften geerntet und Nüsse wollten gesammelt werden. Die Frau erntete, und mit jedem ernten wurde auch sie reifer und reifer.
Sie strahlte in ihrem vollen Antlitz, war wunderschön, sie konnte sich im Gleichklang mit den Bäumen im Wind wiegen, legte sie sich auf in einer Lichtung auf dem Waldboden, sah es aus als würde sie mit der Erde eins werden. Saß sie an dem kleinen Bach der munter durch den Wald sprudelte, so spiegelte sich ihre Schönheit in jedem Tropfen Wasser das an ihr vorbeifloss. Am Abend wenn sie am Feuer saß, die Flammen das Holz verzehrte, spiegelten sich abertausende kleine Funken in ihren klaren Augen.
So verging auch die Zeit im Sommer, und langsam begannen die ersten Blätter sich zu verfärben, ein zartes sanftes gelb, ein orange, ein rot, um sich letzten Endes in braun zu färben. Die Blätter begannen sich von den Ästen zu lösen und die Schmetterlinge wurden weniger.
Manche Tiere des Waldes bekam die Frau nun gar nicht mehr zu sehen. Es gesellte sich die Vergänglichkeit zu ihr und auch ihr Sein, begann sich wieder zu verändern. Ihre Haut, ihre Haare sogar die Knöchel der Hände veränderten sich. Und so erkannte die weise Frau, dass es Zeit ist alles zu bereinigen und sich auf die Zeit der Innenschau vorzubereiten. Sie sammelte Holz, Moos und Fichtenzapfen für die Kalte Zeit. Jedoch bemerkte sie, dass sie mit jedem Tag, an dem sie sich abends zur Ruhe begab, sich für den Tag bedankte und die Nacht begrüßte, ein klein wenig mehr erschöpfter war. Die Nächte wurden länger und kälter, der Wind wurde stärker und fegte durch den Wald, Blätter wirbelten umher und so manche Gestalt zeigte sich in den morgendlichen Nebeln. Immer mehr zog sich die Frau nun zurück in ihre Hütte, in der das wärmende Feuer knisterte. Es wurde still im Wald, die Säfte der Bäume zogen sich zurück in ihre Wurzeln, die Tiere verkrochen sich in Höhlen und in den Sträuchern des Waldes.
Stille kehrte ein, und so kam es, dass die ersten Schneeflocken durch den kahlen Wald zu tanzen begonnen. Sie deckten den Boden mit ihrem zarten weiß zu, bedeckten die Äste der Bäume. Der Wind ließ die Flocken tanzen, mal stürmisch, mal sanft. Manchmal blitzte ganz schwach die Sonne hervor um das weiß erstrahlen und funkeln zu lassen. Doch die meiste Zeit war es Dunkelheit und Stillstand, das zurück gezogen sein, was den Wald umhüllte. Die weise Frau saß in ihrer Hütte vor dem Feuer. Alt und gebrechlich war sie nun geworden, in gebückter Haltung schürte sie das Feuer. Sie ließ alles was im Außen vor sich ging, die Stürme am Tag und in der Nacht, die Gesellen die sich im Wald tummelten, im Außen und kehrte vollends in ihr Inneres ein. Sie dankte noch immer für jeden Tag, für jede Nacht. Und so kam es, dass sie in ihrem Inneren wusste, dass der Abschied nahte. Dieser Tag war etwas dunkler als die anderen und es war bitter kalt.
Das Feuer im Ofen wollte nicht richtig brennen, nur ein dahinglosen der Glut war ersichtlich. So dankte die Frau noch einmal, um dann ihre Augen für immer zu schließen. Doch im selben Moment, begann das Feuer sich zu entfachen, es wurde warm und gemütlich in der Hütte und die Frau öffnete erneut die Augen, ihre Hände waren zart und fein, der Körper war wach und die Seele erfreute sich am Tanz der Schneeflocken, am Singen der Winde. Ihr junges Sein war wiedergeboren und so haust auch heute noch, eine weise Frau in einer Hütte im Wald, im ewigen Kreislauf der Natur dankt sie jeden Morgen wenn sie die Augen aufschlägt dem Tag und dankt jeden Abend, bevor sie ihre Augen zum Schlafe schließt, der Nacht.
Segen und Magie
Maria Solva